HOUSE OF BLUE EYES
GENETIK

"VERERBUNG - ZUFALL MIT SYSTEM"

TEIL 6
Raucht Ihnen der Kopf noch von den mathematischen Spielereien aus dem letzten Teil? Gut, das zeigt, daß Sie sich wenigstens damit beschäftigt haben.

Nachdem uns die rechnerische Begründung gelungen ist, werden wir uns mit den daraus abgeleiteten einfacheren Formulierungen „häufig", „selten" und „sehr selten" begnügen können, denn wir wissen ja nun, welche zahlenmäßigen Häufigkeiten hinter solchen Aussagen stecken können.

Aber wenden wir uns zunächst der Aufgabe aus dem letzten Teil zu. Wir sind von der Annahme ausgegangen, daß von den Elterntieren keine Stammbäume existieren bzw. daß die entsprechenden Genotypen nicht ableitbar sind. Wir können uns also nur auf die Allele stützen, die im Phänotyp erkennbar sind.

Fangen wir mit dem weiblichen Tier an, einer blauen Kurzhaarkatze. Blau bedeutet verdünntes Schwarz, sie muß also für das Allel d homozygot sein (d/d). Damit die Haare kurz sind, muß das Gen für die Haarlänge mindestens einmal mit dem dominanten Allel L besetzt sein, über das zweite Allel ist keine Aussage möglich: also Bindestrich. Dann noch zweimal das X-Chromosom dazu, und fertig ist die Tabelle l.

ALLELE MÖGLICHE ALLELENKOMBINATION
d/d
d
 
L/-
L
 
-
         
X/X X   X          
GAMENTEN D
L
X
  D
-
X
         
         
         

Wenden wir uns dem schwarzen Kurzhaar-Kater zu.

Das Gen für die Farbdichte muß mindestens einmal mit dem dominanten Allel D besetzt sein, das zweite Allel bleibt buchstäblich hinter dem Schwarz der unverdünnten Farbe verborgen: also Bindestrich.

Was die Haarlänge betrifft, liegen dieselben Verhältnisse vor wie bei der Katze, also L/-.

Nun noch die beiden Heterosomen X und Y dazu, und das Ergebnis sollte so aussehen wie Tabelle 2.

Wenn gegenüber Ihrer Lösung ein paar Felder vertauscht sind, ist das Ergebnis trotzdem richtig. Sie haben dann vielleicht eine andere Reihenfolge der Gene angenommen oder die Allele anders angeordnet. Schließlich ist es ja egal, ob das Verdünnungs-Gen oder das Gen für die Haarlänge an erster Stelle steht. Ebenso spielt es für den Phänotyp keine Rolle, ob man zum Beispiel D/- oder -/D schreibt.

Es haben sich jedoch in der Genetik gewisse „Schreibregeln" eingebürgert, und wir sollten uns von Anfang an daran halten.

Die zu einer bestimmten Analyse notwendigen Gene werden in alphabetischer Reihenfolge aufgeschrieben, und bei jedem Allelenpaar steht das dominante Allel an erster Stelle. Somit heißt der Genotyp unserer Katze d/d, L/-, X/X und der unseres Katers D/-, L/-, X/Y.

Genau in der gleichen Reihenfolge werden die Eintragungen in die Tabellen vorgenommen.

ALLELE MÖGLICHE ALLELENKOMBINATION
D/-
D
-
L/-
L
 
-
 
L
-
X/X X Y X Y X Y X Y
GAMENTEN D
L
X
D
L
Y
D
-
X
D
-
Y
-
L
X
-
L
Y
-
-
X
-
-
Y

In dieser Tabelle fallen sofort die zahlreichen Bindestriche auf.

Nur bei 2 von 8 möglichen Spermientypen kann eine bestimmte Allelenkombination vorausgesagt werden, eine derartige Verpaarung wäre also mit vielen Unsicherheitsfaktoren belastet.

Diese Aussage gilt generell für Verpaarungen, bei denen in einem oder sogar in beiden Partnern mehrere Gene mit dominanten Allelen ausgestattet sind. Die entsprechenden rezessiven Allele können so über einige Generationen unerkannt weitergetragen werden und können meist dann zur Ausprägung, wenn niemand mehr damit rechnet.

Solchen Überraschungen ist nur mit konsequenter Linienzucht beizukommen. Erst nach einigen Generationen ohne „Ausrutscher" kann man dann mit ziemlicher Sicherheit drauf schließen, daß der entsprechende Elter homozygot für ein bestimmtes dominantes Allel ist.

Gehen wir zu Tabelle 3, die jeine Zusammenfassung der in den beiden vorigen Tabellen ermittelten Gametentypen darstellt. Diese sogenannte „Kreuzungstabelle,, zeigt, welche Phänotypen möglich bzw. ausgeschlossen sind, welche Genotypen welchen Phänotypen zugrunde liegen können und ermöglicht schließlich unter bestimmten Voraussetzungen Rückschlüsse auf den Genotyp eines oder beider Eltern.

KATZE  
  DLX d-X            
KATER                
DLX DdLLXX DdL-XX            
DLY DdLLXY DdL-XY            
D-X DdL-XX Dd--XX            
D-Y DdL-XY Dd--XY            
-LX -dLLXX -dL-XX            
-LY -dLLXY -dL-XY            
--X -DL-XX -d--XX            
--Y -dL-XY -d--XY            

Wie zu erwarten, sieht es in der obigen Tabelle bezüglich der Bindestriche auch nicht besser aus.
Aber lassen Sie sich nicht entmutigen, die Analyse ist einfacher als Sie denken.

Wir verwenden zur Besprechung einzelner Felder oder Feldergruppen wieder das Zahlenraster aus dem letzten Teil.

Fangen wir mit der Farbe an.

Was erwarten wir denn, wenn ein Kater mit unverdünnter Farbe (hier schwarz) mit einer Katze mit Verdünnung (hier blau) verpaart wird?

Die einen werden sagen: „Die Hälfte der Welpen ist schwarz, die andere Hälfte ist blau".
Andere werden diese Meinung vertreten: „Alle Welpen sind schwarz, denn das Allel für die volle Farbe (D) ist dominant".

Sind alle Nachkommen aus mehreren Würfen derselben Verpaarung wirklich schwarz, dann können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß der Kater bezüglich des Gens für die Farbdichte homozygot (D/D) ist, die Felder 5-8 und 13-16 können dann mit der Allelenkombination (D/d) ergänzt werden.

Ganz sicher ist jedoch immer, daß alle schwarzen Nachkommen heterozygot (D/d) sein müssen, wie in den Feldern 1-4 und 9-12 schon eingetragen. Fällt jedoch auch nur ein einziges blaues Kätzchen oder Katerchen, dann steht fest, daß der Kater heterozygot (D/d) ist, die Felder 5-8 und 13-16 müssen dann mit d/d belegt werden.

Also nochmal: Nur ein einziges blaues Kätzchen oder Katerchen, egal in welchem Wurf dieser Verpaarung, belegt mit absoluter Sicherheit, daß der Kater bezüglich der Farbdichte heterozygot (D/d) ist.

Eine Homozygotie (D/D) kann jedoch lediglich vermutet werden, wenn in mehreren Würfen nur schwarze Welpen fallen.
Die Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit dieser Vermutung ist um so größer, je größer die Anzahl der schwarzen Nachkommen aus dieser Verpaarung ist.

Aber: Nur ein „Blaues", egal ob der 20., 50. oder 99. Nachkomme, macht die Annahme der Homozygotie null und nichtig. Dann steht fest, der Kater ist heterozygot.

Jetzt zur Haarlänge. Ganz klar: Kurzhaar-Katze und Kurzhaar-Kater bringen Kurzhaar-Babys.

Aber ganz so einfach ist die Sache nicht.

Unbestritten ist, daß die meisten Nachkommen tatsächlich kurzhaarig sein müssen, da beide Eltern zumindest ein dominantes Allel (L) beisteuern. Die Felder 1-10 und 13-14 zeigen eindeutig Genotypen von Kurzhaar-Katzen oder -Katern, egal wie das zweite Allel aussieht.

Aber die Wahrscheinlichkeit für die Homozygotie der Eltern ist hier nicht einfach um so größer, je. größer die Anzahl der kurzhaarigen Nachkommen ist. Zum einen sind ja selbst bei doppelter Heterozygotie schon 3/4 aller Welpen kurzhaarig, zum ändern wird man nie bestimmen können, welcher der beiden Eltern homozygot sein könnte oder ob sogar möglicherweise beide Eltern homozygot sind.

Eines ist jedoch auch hier ganz sicher: Sollte auch nur ein einziges langhaariges Kätzchen oder Katerchen fallen, dann müssen beide Eltern heterozygot (L/l) sein!

Eine andere Konstellation ist überhaupt nicht möglich.

Nur wenn beide Eltern jeweils ein rezessives Langhaar-Allel (l) beisteuern können, entwickelt sich ein Langhaarkätzchen oder Katerchen mit dem homozygot-rezessiven Allelenpaar 1/1.

Ein ganz besonderes Ereignis wäre es, wenn ein blaues Langhaar-Kätzchen oder Katerchen fallen würde, weil die Wahrscheinlichkeit dafür äußerst gering ist. Nur die Felder 17-18 lassen sich so ergänzen, daß ein Genotyp entsteht, der für beide Gene mit den homozygot-rezessiven Allelepaaren (d/d, 1/1) ausgestattet ist.

Das ist rechnerisch gesehen gerade 1/8 der Nachkommen.

Für die Bestimmung des Genotyps der Eltern wäre dieses Kätzchen oder Katerchen allerdings der Glückstreffer: Ein blaues Langhaar-Baby kann ausschließlich dann fallen, wenn der Kater für die Farbdichte heterozygot (D/d) ist und wenn beide Eltern für die Haarlänge ebenfalls heterozygot (L/l) sind.

So viel zunächst einmal zu Statistik, Wahrscheinlichkeit und Kreuzungsanalyse an einem einfachen Beispiel mit nur wenigen Genen und Allelen. Sie haben gesehen, daß wirklich sichere Angaben und Rückschlüsse fast nur bei solchen Merkmalsausprägungen möglich sind, die durch rezessive Allele bestimmt werden.

Hinter dominanten Allelen können sich selbst über mehrere Generationen hinweg höchst interessante Anlagen verbergen. Das schränkt zwar unsere berechenbare Planung ein, aber der Zugewinn an aufregender Erwartung und Überraschung ist nicht zu unterschätzen.

Kommen wir nun zu einem ganz anderen Kapitel, der Besprechung einzelner Gene und deren Allele. Auch da wollen wir es so halten, daß wir uns langsam von den einfachen Dingen zu den etwas komplizierteren vorarbeiten. Ich werde also zunächst die einfachen Grundfarben und deren Verdünnungen besprechen, die Bänderung der Haare (Agouti) und die verschiedenen Zeichnungen (Tabbies) sollen zunächst außen vor bleiben.

Als Farbpigment bezeichnet man einen Stoff, der bestimmte Teile des Lichts absorbiert und andere Teile durchläßt oder reflektiert. Bei Säugetieren kommt als Pigment nur das Melanin in Frage, das bei der Katze in der Haut und in den Haaren auf komplizierte Art und Weise an einen Proteinträger gebunden ist. Durch Mutationen, die die Struktur des Trägerproteins betreffen, kann die Melanineinlagerung verändert werden, was zu verschiedenen Verdünnungsgraden und zu Farbeffekten von schwarz bis rot-gelb führt.

Der nicht-mutierte oder ursprüngliche Melanin-Protein-Komplex läßt Haut und Haare schwarz erscheinen, deshalb wird das dominante Wildtyp-Allel des Farbgens mit B für black = schwarz bezeichnet. Haare, Nasenspiegel und Fußballen sind bei einer Katze mit dem Genotyp B/B oder B/- tiefschwarz. Von B gibt es eine mutierte Form, bei welcher der Melanin-Protein-Komplex so verändert ist, daß Haare, Nasenspiegel und Fußballen schokoladenbraun sind. Das entsprechende Allel heißt b für chocolate oder brown. Aber es gibt noch eine weitere Mutation, bei der die Katze ein noch helleres Braun zeigt.

Das dritte Allel ist daher b1 für light brown. Weil dieser braune Farbton im Idealfall ein wenig rötlicher ist als bei der Chocolate-Katze, hat sich dafür auch die Bezeichnung cinnamon = zimtbraun eingebürgert. Es handelt sich hier um einen klassischen Fall von multipler Allelie, weil es für das Farb-Gen mehr als zwei Allele gibt.

Die Reihenfolge, in der man die Allele eines solchen Gens aufschreibt (B, b, b1) oder bespricht, sagt etwas über die Dominanz-Verhältnisse aus.

Das Allele B ist nämlich dominant über b und bl, aber auch b ist dominant, allerdings nur über b1.

Und wo bleiben die Roten? Das ist so eine Sache.

Rot, oder besser Orange ist kein Allel der B-Serie, sondern es handelt sich hier um ein zweites unabhängiges Farb-Gen mit zwei Schalterstellungen, dem Allel 0 für orange und dem Allel o für nicht orange. Außerdem wird die ganze Angelegenheit noch dadurch kompliziert, daß dieses Gen auf dem X-Chromosom liegt, also geschlechtsgebunden vererbt wird.

Merken wir uns jetzt einfach nur, daß Katzen, die ja zwei X-Chromosomen haben, mit der homozygoten Allelenkombination 0/0 alle Allele des ersten Farb-Gens maskieren also rot sind. Nur Katzen mit den rezessiven Allelen o/o zeigen die Farben der B-Serie. Die heterozygote Ausstattung O/o führt zu „Schildpatt", das hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt wird, wie und warum, das werden wir später besprechen.

Bei Katern ist die Situation etwas anders, weil sie ja nur ein X-Chromosom haben: 0/Y-Kater sind rot (die B-Serie ist maskiert), o/Y-Kater sind nicht rot, es können alle Farben der B-Serie auftreten.

Zu allen oben genannten Farben kommen nun noch die Verdünnungen (d/d) dazu, was eine interessante und vielfältige Farbpalette ergibt.

Mit der Aufzählung aller möglichen Genotypen aus der B-Serie mit den jeweils entsprechenden Verdünnungen möchte ich heute schließen.

Das nächste Mal dann noch andere Farbeffekte, Zeichnungen und Genaueres über Orange.

1. BB D- homzygot schwarz
2. Bb D-  
3. Bb1 D- beide heterozygot "schwarz", von 1. nicht zu unterscheiden
4. BB dd homzygot "blau"
5. Bb dd  
6. Bb1 dd beide heterozygot "blau", von 4. nicht zu unterscheiden
7. bb D- homozygot "chocolate"
8. bb1 D- heterozygot "chocolate", wie 7.
9. bb dd heterozygot "lilac", ein abgeschwächtes Lila mit einem leichten rosa Schimmer
10. bb1 dd heterozygot "lilac", wie 9.
11. b1b1 D- homozygot "chinnamon"
12. b1b1 dd homozygot "fawn", heller als 9., fast "farblos" aber nicht weiß

Diese Serie wurde in 18 Teilen sehr verständlich und detailiert im Jahr 1993 von Roland Fahlisch (Diplom Biologe) geschrieben und in der Zeitschrift Katzen Extra veröffentlicht.

Wir danken Monika und Roland Fahlisch herzlich
für Ihre schriftliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser tollen Serie.



(Wir bitten um Beachtung des Copyright - © Roland Fahlisch)
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