GENETIK

"VERERBUNG - ZUFALL MIT SYSTEM"

TEIL 3
Bevor wir mit der Mitose so richtig loslegen, möchte ich diejenigen unter Ihnen beruhigen, die eine so ausführliche Behandlung der Mitose für überflüssig halten, weil sie ja genaugenommen mit dem Geschehen bei der Vererbung wenig zu tun hat.

Im Prinzip ist das ja auch richtig.

Aber wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Mitose mit ihren einfach zu durchschauenden Abläufen gewissermaßen das Rüstzeug zum Verständnis der doch recht komplizierten Meiose liefert, dann ist es sicherlich sinnvoll, so vorzugehen.

Schauen Sie sich die Abbildung l an und vergleichen Sie den Chromosomensatz mit dem in Abbildung 3 aus dem 2. Teil.

Es ist Ihnen sicherlich sofort aufgefallen, daß das 3. Chromosomenpaar gar kein richtiges Paar ist, die beiden hier nebeneinander gezeichnete Chromosomen sehen ja ganz verschieden aus.

Und doch bezeichnet man sie als homologe Chromosomen, denn beides sind Geschlechtschromosomen.

Das größere mit dem Zentromer in der Mitte ist das X-Chromosom, das kleinere mit dem Zentromer fast am einen Ende das Y-Chromosom.

Man nennt die Geschlechtschromosomen auch Heterosomen und unterscheidet sie damit von den übrigen Chromosomen, den Autosomen, die immer „echte" Paare bilden.


DIE HETEROSOMEN TRAGEN DIE JEWEILIGEN GESCHLECHTSMERKMALE


Fast der gesamte Bauplan für eine Katze liegt auf den Autosomen. Das C-Chromosom trägt die sogenannten weiblichen Geschlechtsrealisatoren, die die Ausprägung aller weiblichen Geschlechtsmerkmale steuern.

Auf dem Y-Chromosom dagegen liegen die männlichen Geschlechtsrealisatoren. Ist ein Y-Chromosom vorhanden, wird sofort die Entwicklung der Geschlechtsmerkmale umgesteuert, und es kommt ein Kater dabei heraus.

Für etwas Verwirrung sorgt die Tatsache, daß im Gegensatz zum Y-Chromosom auf dem X-Chromosom auch noch einige andere Gene liegen.

Mit diesen geschlechtsgebundenen Erbgängern müssen wir uns später noch herumschlagen, jetzt sei nur so viel verraten, es geht dabei um die dreifarbigen „Glückskatzen".

KATER HABEN EIN Y-CHROMOSOM, KATZEN NICHT


Nur der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, daß es auch andere Mechanismen der Geschlechtsbestimmung gibt.

Bei den meisten Pflanzen gibt es keine Heterosomen, alle Geschlechtsrealisatoren liegen auf den Autosomen. Heuschrecken haben nur eine Heterosomenart, nämlich X-Chromosomen.

Die männlichen Geschlechtsrealisatoren befinden sich auf den Autosomen. Ist nur ein X-Chromosom vorhanden, entwickelt sich ein männliches Tier, zwei X-Chromosomen führen zu einem Weibchen.

Die Schmetterlinge zeigen eine besonders pikante Variante: Die Weibchen haben den XY-Genotyp und die Männchen haben zwei X-Chromosomen.

Bei der Katze hat sich jedoch, wie bei allen Wirbeltieren, im Verlauf der Evolution die XY Geschlechtsbestimmung durchgesetzt. Alle Tiere ohne Y-Chromosom sind weiblich, alle Tiere mit mindestens einem Y-Chromosom sind männlich.

Also sind im Normalfall XX-Katzen wie in Abbildung 3/2. Teil Weibchen und XY-Katzen wie in Abbildung l Kater. Und mit diesem Modell-Kater wollen wir auch mit der Mitose weitermachen. Es ist ein schwarzer Kurzhaar-Kater (L/l) ohne Verdünnung (D/d), beide Gene liegen in heterozygoter Form vor.

WANDERNDE CHROMATIDEN BILDEN TOCHTERZELLEN


Diese Schemazeichnung zeigt das uns schon bekannte Bild einer Metaphase:

die Chromosomen sind aufspiralisiert, die Kernmembran ist bereits aufgelöst, und die Chromosomen haben sich schon in der Äquatorialebene angeordnet.

Neu sind die Pfeile, die Ihnen lediglich eine Vorstellung davon geben sollen, wie die Spindelfasern ansetzen und in welche Richtung diese ziehen werden.

Wir nehmen wieder vereinfacht an, daß an jedem Zentromer nur zwei Spindelfasern ansetzen, deren Zugrichtung zu genau entgegengesetzten Zellpolen weist. Beim natürlichen Vorgang sind es ganze Bündel von Spindelfaser, die an den Zentromeren zerren. Wenn dann die Zentromere geteilt sind und die beiden Spalthälften oder Chromatiden eines jeden Chromosoms auseinanderweichen, dann bilden sich auch dazwischen noch Spindelfasern, die die beiden Chromatiden auseinanderdrücken.

Dann gibt es auch noch  Fasern, die direkt von Zellpol zu Zellpol verlaufen und sozusagen „Schienen" bilden, auf denen die Chromatiden zu den Polen „gelenkt" werden.

Also bleiben wir lieber bei unserem einfachen Schema und kommen wir mit Abbildung 3 zur nächsten Phase der Mitose, der Anaphase. In der Anaphase werden die beiden Chromatiden eines jeden Chromosoms mit Hilfe der Spindelfasern voneinander getrennt und wandern zu gegenüberliegenden Zellpolen.

Sobald die Chromatiden an den Zellpolen angekommen sind, wird eine neue Zellwand gebildet (gestrichelte Linie). Damit sind zwei Tochterzellen entstanden, die, wie Sie leicht selber nachprüfen können, genau die gleiche Gen- und Allelenausstattung haben, wie die Ausgangszelle. Die Chromosomen sind lediglich halb so dick.

Es folgt die Telephase: Die Chromosomen beginnen sich zu entspiralisieren und in beiden Tochterzellen wird eine neue Kernmembran aufgebaut.

DURCH KOPIEREN ENTSTEHEN WIEDER VOLLSTÄNDIGE CHROMATIDEN


Die anschließende Phase ist die letzte Phase der Mitose.

Oder ist es vielleicht die erste Phase der nächsten Zellteilung, weil jetzt die Voraussetzungen dafür geschaffen werden?

Nun, auf jeden Fall liegt diese Phase zwischen zwei Teilungen und heißt daher Interphase.

Als erstes wird für jedes Chromosom wieder eine zweite Chromatide sythetisiert. Die Chromatide aus der Ausgangszeile wird dabei als Vorlage benutzt, es wird eine identische Kopie davon hergestellt: also gleiche Nucleotidfolge, damit gleiche Gen- und Allelenausstattung.

Jetzt besteht jedes Chromosom wieder aus zwei absolut identischen Chromatiden, nicht nur damit es in der nächsten Teilung überhaupt wieder etwas zum Verteilen gibt, sondern auch, weil jetzt gearbeitet wird. Es müssen von den für die Aufgabe der Zelle notwendigen Genen Kopien angefertigt werden, die dann im Zellplasma verarbeitet werden und so die Funktion der Zelle garantieren oder zur Ausprägung eines bestimmten Merkmals führen.
Dabei können sich die beiden Tochterzellen durchaus auseinanderentwickeln oder differenzieren, aber nicht, weil sie eine unterschiedliche Gen- bzw. Allelenausstattung haben, sondern weil in den beiden Zellen unterschiedliche Gene abgelesen werden, je nach Aufgabe der beiden Zellen.

DIE DIFFERENZIERUNG FÜHRT ZUR ORGANBILDUNG


Gehen wir nun an den Anfang der Entwicklung zurück.

Nach der Befruchtung, also der Verschmelzung von Spermium und Eizelle, durchläuft die Zygote einige Mitosezyklen, dann findet eine grundlegende Differenzierung statt.

Die meisten Zellen machen weiterhin mitotische Teilungen und differenzieren sich zu Nervenzellen, Hautzellen, Nierenzellen, Leberzellen, Drüsenzellen usw., sie bauen also die Organe auf und bilden zusammen den Körper der Katze. Daher werden alle diese Zellen Somazellen genannt.

Die übrigen Zellen werden zu Keimbahnzellen, bauen durch Mitosen bei der Katze die Eierstöcke oder beim Kater die Hoden auf und stellen dann die mitotischen Teilungen ein.

Die Endprodukte der letzten Mitosen der Keimbahn sind in den Eierstöcken oder Ovarien die Oogonien, also die Vorläufer der befruchtungsfähigen Eizellen oder Oocyten. in den Hoden entstehen die Vorläufer der Spermien, die Spermatogonien.

REDUKTION DER CHROMOSOMEN IST NOTWENDIG


Und jetzt kommt endlich die Meiose ins Spiel.

Durch diese besondere Zellteilungsvariante entstehen einerseits aus Oogonien Oocyten und andererseits aus Spermatogonien Spermien.

Die Meiose läßt sich auch nicht wie die Mitose als Zyklus beschreiben, sie stellt vielmehr eine Art Einbahnstraße dar. Die Endprodukte der Meiose, die Gameten (Sammelbegriff für Oocyten und Spermien) verfügen nur noch über einen reduzierten Chromosomensatz, denn von jedem Homologenpaar bleibt nur noch ein Chromosom übrig, weshalb die Meiose auch Reduktionsteilung genannt wird.

Warum diese Reduktion notwendig ist, das wird einem sofort klar, wenn man überlegt, daß die Zygote aus einer Eizelle mit normalem Chromosomensatz und einem Spermium mit normalem Chromosomensatz plötzlich über 76 Chromosomen verfügen würde.

Die nächste Generation ohne dazwischengeschaltete Reduktionsteilung hätte dann schon 152 Chromosomen, die nächste 304 Chromosomen usw. . .

so geht das also nicht!

DIE MEIOSE DAUERT WESTENTLICH LÄNGER


Schauen wir uns nun an unserem Modell-Kater von Abbildung l den Ablauf der Meiose an und sehen, wie das Problem gelöst wird.

Auch die Meiose beginnt mit einer Prophase. Aber die dauert viel länger als die der Mitose.

Die ganze Mitose dauert nur wenige Minuten bis maximal ein oder zwei Stunden. Bei der Meiose dauert allein die Prophase Stunden, manchmal Tage oder Wochen und im Extremfall sogar Jahre oder Jahrzehnte, wie beim Menschen.

Zur Unterscheidung vom mitotischen Geschehen wird diese erste meiotische Prophase auch als Prophase-I bezeichnet, was schon darauf hindeutet, daß es wohl eine zweite meiotische Prophase geben muß und daß die Meiose aus zwei unmittelbar zusammenhängenden Teilungen bestehen muß, nämlich aus der Meiose-I und der Meiose-II.

Aber greifen wir nicht vor.

In der Prophase-I werden nicht nur die Chromosomen zur Transportform aufspiralisiert, sondern die homologen Chromosomen lagern sich ganz eng aneinander, sie „paaren" regelrecht. Die Paarung ist sehr eng und exakt, so daß gleiche Genorte immer dicht nebeneinander liegen.

Man nennt die entstandenen Gebilde Bivalente, weil sie aus jeweils zwei homologen Chromosomen bestehen. Ein anderer gängiger Name ist Chromatidentetrade, weil ja jedes der beiden homologen Chromosomen aus zwei Chromatiden besteht. Am Ende der Prophase-I weichen die Paarungspartner wieder etwas auseinander, die Kernmembran wird aufgelöst und die in unserem Fall drei Bivalente ordnen sich in einer Äquatorialebene an. In Abbildung 4 sehen Sie dann das Ergebnis, die Metaphase-I. Sie sehen zwei vollständige Bivalente und ein Gebilde, das nicht so ganz dazu paßt.

Hätten wir unsere Modell-Katze genommen, dann wären in der Metaphase-I drei richtige Bivalente zu sehen gewesen, denn die beiden X-Chromosomen sind vollständig homolog. X- und Y-Chromosomen haben nur homologe Abschnitte, sie können, wie in Abbildung 4, nur teilweise paaren. Aber diese Teilpaarung reicht aus, um in der folgenden Anaphase-I (Abbildung 5) eine zuverlässige Aufteilung der Chromosomen auf die beiden Tochterzellen zu gewährleisten.

BEI DER ERSTEN MEIOTISCHEN TEILUNG WERDEN CHROMOSOMEN VERTEILT


Was die Pfeile in Abbildung 4 zu bedeuten hatte, das wissen Sie ja schon und Sie können sich auch denken, daß es sich bei der Abbildung 5 um eine stark vereinfachte Darstellung der Anaphase-I handelt.
Alles, was vorher bei der Mitose über Spindelfasern, Zug- und Schubkräfte usw. gesagt wurde, gilt auch hier.

Der große Unterschied besteht darin, daß bei der ersten meiotischen Teilung keine Chromatiden, sondern ganze Chromosomen verteilt werden. Das soll aber nun nicht heißen, daß die beiden Tochterzellen nicht das gesamte Genom abbekommen.

In jedem der beiden Chromosomen eines Homologenpaares stecken ja dieselben Gene. Da jede der beiden Tochterzellen von jedem Homologenpaar ein Chromosom bekommt, besitzt auch jede der beiden Tochterzellen das gesamte Genom, nur die Allelenausstattung kann in den beiden Tochterzellen unterschiedlich sein.

Schauen wir uns zur Erklärung noch einmal die Abb. l an. Die markierten Gene sind Verdünnung und Haarlänge, dazu geschlechtsbestimmende Gene auf den Heterosomen. Die beiden Tochterzellen aus der Meiose-I werden nach Abschluß der Teilung je ein Gen für die Verdünnung und für die Haarlänge haben und dazu je ein Heterosom für die Geschlechtsbestimmung, also jeweils das volle Genom.

Die Allele dagegen sind in den beiden Tochterzellen unterschiedlich: Abb. 5/links: volle Farbe - Langhaar - männlich, Abb. 5/rechts: Verdünnung - Kurzhaar - weiblich.

Das nächste Mal werden wir die Meiose zu Ende führen und versuchen, die ganze Sache mathematisch-statistisch zu erfassen. Dann sehen wir auch gleich, wo überall uns der Kollege Zufall stolpern läßt.

Sie können ja inzwischen mal versuchen, die Meiose-I mit unserer Modell-Katze aus dem 2. Teil durchzuführen, denn wir wollen später unsere beiden Modell-Tiere gedanklich verpaaren und das „Zucht"-Ergebnis analysieren.

Diese Serie wurde in 18 Teilen sehr verständlich und detailiert im Jahr 1993 von Roland Fahlisch (Diplom Biologe) geschrieben und in der Zeitschrift Katzen Extra veröffentlicht.

Wir danken Monika und Roland Fahlisch herzlich
für Ihre schriftliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser tollen Serie.



(Wir bitten um Beachtung des Copyright - © Roland Fahlisch)
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